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DDR, Deutschland, Feiertagsgeschichten, Kälte, Légion étrangère, NVA
Er hatte eindeutig das größere Auto. Der aufgeblasene Wessi schnappte ihm Katrin vor der Nase weg. Dabei bewunderte er sie schon seit der 1. Klasse. Sie wurden zusammen eingeschult und hatten einiges durch.
Nun kam dieser Schnösel mit den Hängebacken und dem Mercedes und zerstörte seine Träume. Silvio atmete tief durch und ließ die Kalaschnikow unberührt. Sie hing lässig über seiner Schulter – war aber immer einsatzbereit.
Nach dem Dienst bei der NVA kam die Wende. Er ging nach Frankreich zur Légion étrangère – der Fremdenlegion. Es war zuerst hart, später dann nur noch Spaß. Er bekam Geld dafür, daß Menschen starben. Frauen, Kinder – völlig egal.
Die Einsätze waren ein Kinderspiel – Männer mit Waffen töteten Menschen ohne Waffen. Nur im letzten Jahr hatten die Opfer auch Waffen. Da wurde es gefährlich. Aber er selbst kam gut raus. Und nun der Urlaub in der Heimat.
Und dieser Schnösel! Silvio hustete. Irgendwas war nicht mehr in Ordnung. Er hatte noch nie gehustet. Aber seit dem Einsatz in Afghanistan stimmte nichts mehr.
Hinzu kam noch, daß er diesen Schnösel kannte. Ein Leutnant aus Bingen. Der war in seinem Feldlager. Silvio dachte über verschiedene Tötungsarten nach, als der Schnösel endlich Katrins Wohnung verließ.
Kurz vor Mitternacht. Durfte er jetzt noch klingeln?
Silvio saß in seinem VW Polo, der mittlerweile 17 Jahre auf dem Buckel hatte. Erstmal eine rauchen.
Nach der Zigarette war nichts klarer. Aber – alles oder nichts. Silvio klingelte und wurde eingelassen. Katrin empfing ihn mit großen Augen.
- Du?
- Ja.
- Warum?
- Nur so.
- Ich bin liiert.
- Ja und?
- Nichts.
- Kann ich reinkommen?
- Ja.
- Bier oder Wein da?
- Nur Wein.
- Bitte ein Glas.
Katrin ging in die Küche und überlegte, was sie jetzt machen sollte.
Einerseits war der komische Leutnant aus Bingen mit Geld gesegnet; durch seine Eltern. Andererseits war Silvio ihr Traummann. Was tun?
Sie zog den Chardonnay aus dem Kühlschrank und schnappte sich zwei Gläser und den Korkenzieher.
Silvio musterte derweil das Wohnzimmer. Wenig Bücher und viel Kitsch. Enttäuscht schloß er die Augen und wünschte sich zurück zur Légion étrangère. Klare Regeln, keine Gefühle, keine Zweifel.
Als Katrin mit dem Wein ins Wohnzimmer kam, war Silvio schon weg. Er rief kein Taxi. Er stolperte durch die Straßen seiner Kindheit und fror unheimlich. Er kämpfte hier ums Überleben.
Ein frohes Neues Jahr für alle Leser!