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Schulz verließ den Bunker nach genau zwei Jahren. Eigentlich wußte er, daß es sinnlos war. Via Satellit hatte er im Internet alle Nachrichten aus Amerika verfolgt. Europa war tot. Nur noch ein paar Betonbauten standen rum.

Schulz war bei der NVA im ABC-Trupp ausgebildet worden. So wußte er alles über tödliche Strahlung. Zusammen mit Juri, seinem Freund aus Kinderzeiten, hatte er den Bunker geplant, konstruiert und bauen lassen. Juri war als Kind eines russischen Generals in der DDR aufgewachsen. In den 90ern machte er ein unvorstellbares Vermögen in Rußland.

Die Freundschaft mit Schulz hielt trotzdem. Denn Juri hatte Prinzipien und eine russische Seele. Schulz hatte ihn gerettet, als ihn drei Jungen verprügeln wollten. Das war in der 4. Klasse.

Juri war nach 19 Monaten im Bunker gestorben. Schulz hatte die letzten fünf Monate nur noch Selbstgespräche geführt. Er mußte einfach mal raus.

Mit seinem Schutzanzug stieg er in den Geländewagen und fuhr in die nächste Stadt. Sie war unbewohnt. Nach drei Stunden sinnlosem Rumfahren kehrte er zurück in den Bunker. Der hatte übrigens 80 Millionen Euro gekostet und würde noch für weitere zwei Jahre Schutz bieten. Aber was dann?

Schulz griff sich ein Bier und surfte im Internet. Die Amerikaner überflogen manchmal das tote Europa und sendeten die Aufnahmen live.

Es hatte keinen Sinn, hier jemals wieder rauszugehen. Westwärts war nichts mehr. Ostwärts vielleicht. Aber darüber schwiegen die Berichte der Amis.

Sein Dieselvorrat für den Geländewagen könnte für 3.000 Kilometer reichen. Aber war das genug? Und dann keine Rückkehr mehr?

Schulz verfluchte den Tag an dem er geboren wurde. Dann ging er schlafen und träumte nichts. Am nächsten Tag machte er eine Inventur für alle Vorräte. Er kam auf drei Jahre Überleben – denn Juri war ja tot.

Der Kalender zeigte den 31. Dezember an. Silvester. Schulz kroch zwischen den Regalen umher und fand ein paar Feuerwerkskörper. Er beschloß, sie gegen 24.00 Uhr zu zünden. Vielleicht war es schon sein letztes Silvester.

Nach fünf Monaten in völliger Einsamkeit wußte er, daß er seinen Verstand nicht mehr lange behalten würde.

Schulz köpfte eine Flasche Krim-Sekt und schaltete die Stereo-Anlage ein. Juris Leidenschaft war das Alexandrow-Ensemble gewesen. Dazu noch die bekannten klassischen russischen Komponisten. Der Bunker dröhnte. Und Schulz dröhnte sich zu. Er war bereits bei der dritten Flasche angelangt.

Er schaffte es tatsächlich noch, gegen Mitternacht mit den Feuerwerkskörpern aus dem Bunker zu klettern.

Er hatte nur vergessen den Schutzanzug anzuziehen.


Prost Neujahr! Sauft nicht zuviel zwischen den Jahren.  😉