Schlagwörter

, , , , ,

Heute ist Frauentag. In der DDR war das immer ganz besonders. Überall wurde gefeiert. In jedem Betrieb und in jeder Kneipe. Und die Frauen gaben den Ton an.

Nun sitzt Vera alleine da und betrachtet wehmütig die schwarz-weißen Fotos von damals. Sie hat es sich gemütlich gemacht. Eine Flasche von dem guten italienischen Rotwein steht auf dem Tisch. Und nur ein Glas.

Vera wurde 1950 geboren –  fünf Jahre nach dem Krieg. Sie hatte also fast alles von der DDR mitbekommen. Und sie fand das auch gut. Das waren aufregende Zeiten. Die Einschulung, die Schulzeit und das erste Zeugnis.

Sie hat alles aufbewahrt. Bilder, Dokumente und andere unnütze Sachen. Doch nun war das alles wichtig. Ihre Erinnerungen wurden beschleunigt und klarer. Manchmal kichert sie vor sich hin. Bei bestimmten Fotos.

Sie kehrt zurück in die Vergangenheit, die mal ihr Leben war. Ein Leben, das ihr gefallen hat. Seit über 30 Jahren wohnte sie nun schon gezwungenermaßen in der blöden BRD. Von der hielt sie gar nichts. Die Annexion im Jahr 1990 hatte sie sehr verärgert.

Plötzlich war sie ein Niemand. Den Frauentag gab es nicht mehr. All ihre Qualifikationen waren nichts mehr wert. Sie war zu einem Gegenstand geworden.

Das sollte die große Freiheit sein? Sie hörte gern die Musik von Udo Jürgens – schon damals. Aber ein Lied haßte sie: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an …

Da war nichts, was anfangen könnte. Blödsinn. Mit 66 bist du dabei, dir einen Friedhofsplatz zu mieten und nach schönen Grabsteinen zu gucken.

Vera guckte traurig auf die Fotos. Und wischte ein paar Tränen weg. Mit 70 Jahren durfte sie das. Ihre einzige Tochter war 1993 gestorben. Bei einem Fallschirmsprung – der Schirm öffnete sich nicht.

Ihr Mann war kurz darauf – 1995 – gestorben. Krebs.

Nun saß sie allein da und hatte nur ihre Erinnerungen. Der Rotwein schmeckte zumindest. Sie nahm einen großen Schluck. Was sollte jetzt noch passieren?

Unruhig ging sie im Wohnzimmer auf und ab. Wenn wenigstens jemand anrufen würde …

Da klingelte das Telefon. Aufgeregt lief sie hin. Es war Arno. Ein Jugendfreund aus den besseren Zeiten. Sie hatten immer wieder Kontakt – lose aber regelmäßig.

  • Vera – darf ich dich einladen?
  • Wohin und wieso?
  • Heute ist Frauentag. Ich würde gern mit dir irgendwo etwas essen.
  • Holst du mich ab? So gegen 8 Uhr?
  • Natürlich. Ich freue mich.
  • Ich auch Arno. Bis dann.

Es wurde ein gemütlicher Abend. Arno hatte sogar Blumen mitgebracht. Sie saßen bis Mitternacht zusammen und kicherten wie Halbwüchsige.


Ich wünsche allen Frauen einen wunderbaren Tag und überreiche symbolisch einen Blumenstrauß. Und ein herzliches Dankeschön von mir dafür, daß es Euch gibt. Ohne Euch wäre das Leben echt traurig.  🙂